Hörtheatrale

Die Hoertheatrale

Stefan Gille haucht Edgar Allan Poe Leben ein.

Bleich geschminkt und von Nebelschwaden umhüllt saß Stefan Gille vor seinen Zuhörern auf einem Stuhl und las vor.

Marburg. Mal mit wahnhaft verzerrtem Gesicht, mal mit steinerner Miene formte der Schauspieler die Worte des Altmeisters der Horrorliteratur Edgar Allan Poe, dessen Klassiker ihre Wirkung im alten Steingewölbe des Lomonossow-Kellers am Markt voll entfalten konnten. Mit „Das schwatzende Herz und andere Erzählungen“ startete am Freitag die neue Poe-Reihe der Marburger Hörtheatrale. Im ersten Stück nahm Gille die Rolle des von außen betrachtet offenkundig wahnsinnigen, sich selbst aber als höchst rationales, kriminelles Genie erachtenden anonymen Mörders ein, der sich vor der Polizei erklären will. Welche augenscheinliche Kleinigkeit den Mann dazu veranlasste, das Leben seines Nachbarn zu beenden, warum er so schnell überführt wurde und wie es um den Geisteszustand des Mannes wirklich steht, behandelt der eindringlich inszenierte Text. Im zweiten Teil spielten Ratten, eine pendelnde Klinge und vor allem der unbedingte Wille des Menschen zu überleben eine größere Rolle.

Bühne bleibt schlicht

Die Gäste waren sichtlich beeindruckt von der dichten Atmosphäre, die durch kreischende Krähen, düstere Hintergrundmusik und Gilles überzeugendes Mienenspiel erzeugt wurde. „Ich fand es richtig gut umgesetzt“, bemerkte etwa Justus Sterz, der die Hörtheatrale durch die erfolgreiche Sherlock- Holmes-Reihe kennen und schätzen gelernt hatte. Während bei der Umsetzung von Doyles Detektivromanen auch Daniel Sempf als Watson mit auf der Bühne stand und diese mit vielen Requisiten geschmückt war, wird die Bühne bei Poe ganz bewusst schlicht gehalten. „Wir wollten vor allem diesen schmalen Grad aus Wahnsinn, Gewalt und dem, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, betonen. Dementsprechend geht es diesmal ernster zu, Holmes war da eher leichtere Unterhaltung,“ erklärte Sempf, der diesmal nur kurz in einer Nebenrolle auftrat und ansonsten für Kommentare aus dem off zuständig war.

von Marcus Hergenhan | Oberhessische Presse 16.03.2016