Hörtheatrale

Die Hoertheatrale

Gruselklassiker aufwändig inszeniert

Mit einer aufwändigen Inszenierung des frühen Horrorklassikers „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ begeisterte die Marburger Hörtheatrale am Sonntagabend die Premierenbesucher auf der idyllischen Waldbühne. Mehr als 200 Zuschauer und vor allem Zuhörer sitzen in der nahezu ausverkauften Waldbühne vor dem Kaiser- Wilhelm-Turm. Je dunkler es wird, desto mehr mummeln sie sich ein in Decken und warme Jacken, denn es wird doch empfindlich kühl da oben hoch über Marburg. Doch die kühle Sommerfrische ist bald vergessen, denn vorne auf der kleinen Bühne nehmen vier Profis von der Hörtheatrale Platz, die mit ihren Stimmen jonglieren wie Artisten mit Bällen: Marburger Theaterbesucher kennen Franziska Knetsch, Stefan Gille, Thomas Streibig und Daniel Sempf als ehemalige und aktuelle Ensemblemitglieder des Hessischen Landestheaters. Zu erleben ist ein Live-Hörspiel, toll gesprochen, mit einer faszinierenden Klanglandschaft, für die Ben Streibig verantwortlich zeichnet: Türen knarren, Fü.e stapfen über Fußböden, Pferdekutschen holpern über das Londoner Pflaster des 19. Jahrhunderts, Gläser werden gefüllt und geleert, selbst die Hintergrundgeräusche aus Pubs und Restaurants hört man – und das alles in Dolby Surround. Zusammen mit der Musik des Marburgers Stefan Kissel gibt dies eine Klangkulisse, die es dem Zuhörer erlaubt, einzutauchen in das neblig- düstere und zugleich prächtige London vor gut 130 Jahren.

Mit seiner Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ revolutionierte der Schotte Robert Louis Stevenson 1886 das damals bereits populäre Gruselgenre. Der Marburger Schauspieler Daniel Sempf hat aus der schmalen Novelle für seine Marburger Hörtheatrale eine sehr dichte, sehr atmosphärische dramatische Spielfassung gemacht. Gemeinsam mit seinen Schauspieler-Kollegen Franziska Knetsch, Stefan Gille und Thomas Streibig bringt Sempf den Klassiker mit vielen Effekten sehr gekonnt und unglaublich spannend auf die Bühne. Hinter den Kulissen wirbelt Michael Köckritz, der live per Overheadprojektor das Spiel auf der Bühne mit gekonnten Illustrationen unterstützt. Die Faszination des Stoffes ist seit mehr als 120 Jahren ungebrochen: Das zeigen auch die rund 30 Verfilmungen der Novelle zwischen 1980 und 2008. Stevensons „Dr. Jeckyll & Mr. Hyde“ geht weit über heutige standardisierte Horrorromane hinaus. In der eleganten, bisweilen snobistischen Sprache des englischen Bildungs- und Großbürgertums dieser Zeit erzählt Stevenson auch von der Hybris des Menschen, von dem Glauben, dass Wissenschaft alles vermag. Dr. Jekyll ist ein solcher Wissenschaftler und Arzt. Er entwickelt einen Trank, um das Böse im Menschen zu isolieren und testet ihn an sich selbst. Heraus kommt Mr. Hyde – das personifizierte Böse, das nach und nach Macht über ihn gewinnt.

Sempf als Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Streibig als Jekylls Freund Utterson sowie Gille und Knetsch in vielen verschiedenen Rollen erzählen die spannende Geschichte in Rückblicken. Souverän verleihen sie ihren Gestalten mittels ihrer Stimme und Mimik Gestalt, denn was sie bieten ist Hörtheater, obwohl Sempf zunehmend und geschickt kleine Spielszenen etwa im Turm einbaut und mit Licht, Schatten, Laternen und vor allem Kostümen mit Frack, Anzug und Zylinder zusätzlich Atmosphäre schafft.

„Der seltsame Fall des Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ ist ausgesprochen gute Unterhaltung für alle, die knapp zwei Stunden lang geschulten Stimmen zuhören können.

Oberhessische Presse| Uwe Badouin | 12.08.2013